EinMann und eine Frau mit Masken stehen hinter einem Zaun

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde mir klar, dass wir dieses Corona-Virus ernst zu nehmen haben. Am 13.3.20 wurde beschlossen, die Schulen und Kindergärten zu schließen. Der Arbeitsplatz vieler Menschen verlagerte sich an den heimischen Küchentisch – zumindest für diejenigen, bei denen das überhaupt geht. Es folgten Lockdown, ein paar ruhigere Sommermonate und ein erwarteter „Lockdown light“ im November, die Verschärfung im Dezember – gefühlt sitzen wir seit vier Monaten in einem mal mehr, mal weniger strengen Dauer-Lockdown. Die anfängliche Hoffnung des letzten Frühjahrs, es handle sich um maximal eine grippeähnliche Erkrankung sind verflogen.

Zahlen über Zahlen

Was wir im letzten Jahr neben AHA-Regeln und die Trageweise von Masken gelernt haben, ist die Bedeutung so merkwürdiger Begriffe wie Inzidenz oder R-Wert. Was wir angehäuft haben ist Wissen in Bezug auf die Belegungsrate von Intensivbetten oder die Wirksamkeit von Impfstoffen. Und deren Nebenwirkungen. Uns werden jeden Tag Unmengen an Zahlen um die Ohren gehauen, die kaum einer versteht oder ins Verhältnis setzen kann. Ich schaue mir die Zahlen schon gar nicht mehr an, weil sie für mich keine ausreichende Aussagekraft haben. Was sagen uns diese Zahlenkolonnen? Wie viele Menschen gerade erkrankt sind, wie viele potentiell wieder gesund sind und wie viele Menschen in einem Zeitraum nach Diagnose einer Infektion mit dem Corona-Virus verstorben sind (nicht unbedingt, dass das Virus die Ursache war), außerdem, wie viele Menschen gerade auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Was die Zahlen in den Medien nicht verdeutlichen, ist die Altersverteilung bei den Infektionen oder den verstorbenen Menschen. Auch nicht, wo sie sich angesteckt haben (könnten). Viele Aspekte werden von den Gesundheitsämtern gar nicht erfasst, etwa ob eine Infektion mit beengten Lebensverhältnissen zu tun haben oder Vorerkrankungen vorliegen (zumindest tauchen diese Erkenntnisse nicht in der Öffentlichkeit auf).

Grundrechtsschutz – Welches Recht wiegt schwerer?

Das soll keine juristische Abhandlung werden – Gerichte werden sich aber in den nächsten Jahren mit Sicherheit über viele Aspekte des Corona-Virus und seiner Auswirkungen beschäftigen. Seit gut einem Jahr gilt in Deutschland der Ausnahmezustand. Die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ besteht fort und wird durch eine Gesetzesänderung quartalsweise auf Beschluss des Bundestages verlängert, wenn dies nicht geschieht, endet die epidemische Lage automatisch. So viel zum Rahmen. Das Virus ist eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Besonders zu Beginn im letzten Jahr, waren die älteren Menschen und Menschen mit bestimmten Erkrankungen besonders gefährdet. Die Mutationen bedrohen auch die Gesundheit jüngerer Menschen. Der Schutz der Gesundheit und viel mehr der des Lebens wiegt schwer. Das statistische Risiko an einer Infektion mit dem Corona. Virus zu sterben ist auch mit den Mutationen nicht wesentlich gestiegen. Es muss auf die jeweilige Bevölkerungsgruppe herunter gebrochen betrachtet werden. Ältere Menschen und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen haben ein höheres Risiko als jüngeren Menschen. Die sogenannte vulnerable Gruppe, also die Ü-80-Bevölkerung, Bewohner von Pflege- und Seniorenheimen und Menschen mit chronischen Erkrankungen, sind mittlerweile geimpft oder haben die Erkrankung überstanden. Leider starben auch über 70.000 Menschen. Das ist für jeden einzelnen Menschen sehr tragisch und traurig. Zahlreiche Menschen haben nach einer Infektion mit längeren Folgen zu kämpfen, auch das ist für jeden Einzelnen sehr schwer.

Beantwortet werden muss aber die berechtigte Frage, welchem Ziel die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus folgen und welche Einschränkungen anderer Rechte dazu im Verhältnis stehen.  Im letzten Jahr war der Slogan „Wir bleiben zu Hause“, um Oma und Opa zu schützen. Oma und Opa sind mittlerweile fast alle geimpft, auch die zu Hause lebenden älteren Menschen, beeinträchtige Menschen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen sind fast alle geimpft – und wir sitzen immer noch/ wieder im Lockdown. Das Ziel, die besonders gefährdeten Gruppen zu schützen, greift also nicht recht.

Und dennoch dürfen zahllose Professionen seit dreizehn Monaten ihren Beruf nicht oder nur eingeschränkt ausüben, gehen ganze Klassenstufen seit Dezember nicht mehr in die Schule, haben die Zahlen der Eingriffe des Jugendamtes in Familien zugenommen, ebenso die Gewalt, psychische Erkrankungen, etc. Welches Ziel wird also verfolgt? Welches Grundrecht gilt es vorrangig zu schützen und versteifen wir uns zu sehr auf den Schutz der Gesundheit und des Lebens? Haben die Menschen nicht auch das Recht ein Risiko für sich selbst zu kalkulieren? Wie sie es auch tun müssen, bei der Frage, sich weiterhin mit einem Impfstoff immunisieren zu lassen, der mehr und mehr Nebenwirkungen zeitigt?

Ich kann es nicht mehr hören!

Lockdown, Lockdown, Lockdown… Die Nachrichten werden davon bestimmt, welcher Politiker grad wieder überlegt, ob die Maßnahmen jetzt verschärft werden sollten oder doch lieber nicht ganz so doll. Weiß noch jemand, was man eigentlich darf und was nicht? Wenn Kollegen auf Arbeit sitzen oder stehen, halten sie sicher den erforderlichen Abstand ein und sitzen sich mit Maske gegenüber – zu fünft oder mehr Personen. Wollen sie sich nach der Arbeit treffen, machen sie sich strafbar. Bis vor kurzem war es erlaubt, unbekümmert nach Mallorca zu reisen, während wir unseren Kindern erklären sollen, dass sie bitte nicht zur (verbotenen) Geburtstagsfeier dreier Freundinnen gehen. Im Ernst?!?

Sport, Kultur, Gemeinschaft – verkümmert!

Eine dramatische Aktion des BSG Chemie Kahla scheint zahllosen Menschen aus der Seele zu sprechen. Auf einem Transparent steht: „Wer Sportplätze schließt, tötet Vereine“. Dazu ein Kreuz und Grabbeigaben. Über die Bildsprache mag man streiten, aber mehr als 140.000 erreichte Personen sprechen für sich! Mit viel ehrenamtlichem Engagement haben Sportvereine genauso wie Kulturvereine und andere Initiativen über Jahre hinweg gearbeitet, um besonders Kindern und Jugendlichen Freizeitangebote zu machen. Den Vereinen gehen Mitglieder verloren während Kosten weiterlaufen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Kinder und Jugendliche müssen raus! Auf den Sportplatz, zu ihren Freunden, sie müssen sich bewegen und ihre Energie in geordnete Bahnen lenken. Noch viel mehr da sie im Onlineunterricht nun verpflichtet sind, den halben Tag vor dem PC zu sitzen. Was machen sie stattdessen? Noch mehr Medien konsumieren, die alles andere als sozial sind. Das kann nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein. Die Vereine, Sportzentren und Fitnessstudios haben mit viel Aufwand und Kosten Hygienekonzepte erarbeitet, die zumindest im Freien Aktivität erlauben sollten. Das Gleiche gilt für Gastronomie und Veranstaltungen. Es gibt Apps zur Kontaktnachverfolgung, Schnelltests und Hygienekonzepte. Wenn die Menschen sich nicht im öffentlichen Raum treffen können, wo eine Nachverfolgung und Kontrolle möglich wäre, treffen sie sich im Privaten. Und da kann niemand ständig an der Haustür klopfen und nachsehen, wer hier mit wem beieinandersitzt!

Wir brauchen einen Plan

Das Virus wird nicht weggehen. Eine No-Covid-Strategie, wie sie Australien und Neuseeland umgesetzt haben, wird in Europa nicht funktionieren. Hätte sie vielleicht, hätte man es gleich von Anfang an und im Verbund der europäischen Staaten getan. Es braucht also endlich, endlich einen Weg, um mit dem Virus zu leben. Wir kommen da nicht drum rum. Dieses verflixt schlaue Virus wird weiter mutieren und jede Möglichkeit nutzen, uns weiter in die Beine zu grätschen. Aber sollen wir uns deswegen weiterhin einigeln bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag? Das kann keine Lösung sein! Kinder müssen zuverlässig in die Schule und in den Kindergarten gehen können. Es braucht Raum für gemeinsame Treffen mit Familien und Freunden auch in Restaurants und Cafés. Es braucht Museen, Ausstellungen und Konzerte. Es braucht gemeinsamen Sport, gemeinsames Singen und Tanzen.

Was bringen Regeln, wenn sie nicht kontrolliert werden (können)?

Die ganzen Verordnungen im schönsten Beamtendeutsch, dazu noch in jedem Bundesland und von Stadt zu Stadt unterschiedlich, helfen uns grad herzlich wenig. An Masken haben wir uns gewöhnt, an Abstand auch, Handschlag gibt es nicht mehr. Als ich kürzlich zur Verabschiedung im Kreistag Hans-Peter Perschke umarmt habe, konnte ich die Schnappatmung der Umstehenden hören. Auch daran gewöhnt man sich. Private Treffen nur mit wie viel Personen? Zählen die Kinder? Und wenn ja, bis zu welchem Alter? Ich habe vier Kindern davon 2 über 14 Jahre. Ich darf sie also eigentlich nirgends mit hin nehmen laut aktueller Verordnung. Wer kontrolliert das? Jeder hat das Recht auf mindestens zwei Schnelltests in der Woche. Schön. Dafür muss ich auch die Zeit einplanen und mir überlegen, was passiert, wenn der wirklich positiv ist. Quarantäne. Nur für mich. Nicht für die Familie. Die geht weiter in die Schule oder auf Arbeit. Ganz klasse. Während andere Länder leerstehende Hotels anmieten und Personen oder Familien in gemeinsame Quarantäne schicken, züchten wir das Virus mit behördlicher Anordnung im eigenen Haushalt weiter.

Vertrauen verspielt

Maskendeals! Ich hoffe, zur Bundestagswahl erinnern sich die Medien und die Wähler noch genau so aufgeregt wie in den letzten zwei Wochen daran. Da stecken Abgeordnete Provisionen in sechsstelliger Höhe für die Vermittlung von Kontakten und Geschäften mit Masken und Schutzausrüstung ein. Und Hartz-IV-Empfänger bekommen im Mai 2021 großzügig einmalig 150€ für den coronabedingten Mehraufwand. Das ist ein schlechter Scherz! Schutzausrüstung kostet, die Kinder (ohne Mittagsverpflegung, weil Schule oder KiTa zu sind) futtern den Kühlschrank leer, Strom- und Wasserverbrauch steigen. Aber 150€ einmalig für quasi mehr als ein Jahr langen da bestimmt! (Ironie aus). Der Corona-Bonus für die Pflegekräfte war auch so ein Schuss ins Blaue. Zahlreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben davon profitiert – ich auch. Aber die Pflegekräfte, für die im Frühjahr noch geklatscht wurde oder die Angestellten und Aushilfen in den Supermärkten, die immer gearbeitet haben – haben nix oder wenig davon gehabt. Dazu Impfchaos mit einem ständigen Hin und Her bei der Reihenfolge, der Frage wer wann wen womit impft, Impfzentrum, Impfstelle, Hausarzt. Keiner blickt mehr durch. Es gibt zig Plattformen für alle möglichen Fragen – zumindest für den Teil der Bevölkerung, der technisch damit umgehen kann, einen Internetanschluss und viel Zeit hat. Der große Coup, um Vertrauen zurückzuerlangen, soll nun ein Verbot von Handys in den Besprechungen der Bund-Länder-Runde zwischen Kanzlerin und den MP´s sein. Damit nicht wieder jemand heimlich Candy Crush zockt oder sich vertwittert. Ganz ehrlich, das ist Kindergarten.

Nochmal: wir brauchen einen Plan!

Kommunikationschaos (siehe „Osterruhe“) setzt dem Ganzen die Krone auf. Auch die Medien spielen in dem Spiel eine unrühmliche Rolle. Erst sind sie Sprachrohr der Regierung, das vergessen hat, was journalistische Sorgfaltspflicht bedeutet, dann wandeln sie sich zu Treibern der Lockdown-Politik, indem jeder, der eine abweichende Meinung hat, an den Pranger gestellt wird oder die wenigen kritischen Meldungen scheinen im Wust der Corona-Nachrichten unterzugehen. Jeder, der einen Twitter-Account hat und sich „Politiker/in“ oder „Wisschenschaftler/in“ nennt, erscheint sofort in den online-Portalen der Medienhäuser aufzuploppen. Doch wo ist nun der „Rahmen-Stufen-Plan“? Das einheitliche Vorgehen entlang bestimmter Richtwerte? Was wird wann wie umgesetzt? Die Kommunen werden mit vielen der Entscheidungen allein gelassen. Genauso die Schul- und KiTa-Leitungen, die Entscheidungen treffen müssen und nicht können.

Im Moment gibt es viele Verlierer der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“: Kinder und Jugendliche, Obdachlose, Menschen in Gemeinschaftsunterkünften und Wohnheimen, Vereine, die Veranstaltungs- und Kulturbranche.

Vertrauen und eine Perspektive

Was grad fehlt, ist das Licht am Ende des Tunnels. Weniger Panikmache und Schlagzeilen-Heischerei. Eine (vorsichtige) Strategie, die Hoffnung macht und die Richtung vorgibt. Nicht zu viele Versprechungen oder Ankündigungen, die, sobald sie ausgesprochen schon obsolet sind. Gute und verständliche Kommunikation mit klaren Regeln. Auf Augenhöhe mit mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Einen Dialog mit Verantwortlichen, die verantwortlich handeln werden, wenn man sie nur lässt (siehe Sportvereine). Und mehr Freiheiten – meinetwegen mit Impfung und negativem Test. Warum nicht? Die Möglichkeiten sind da.

Wenn es so weiter geht nach Ostern wie es sich gerade abzeichnet, werden wir viele Menschen haben, die ihren Glauben an die Gestaltungsfähigkeit der Regierung und damit der Demokratie verlieren. Das darf nicht zugelasen werden! Auch wenn Anders Tegnell in Deutschland eher eine persona non grata zu sein scheint, hat der schwedische Chef-Epidemiologe in einem Interview mit dem Freitag etwas sehr richtiges gesagt. Auf die Frage, ob er sich nie gefragt habe, ob er mit seiner Strategie falsch liege (in Schweden sind nach wie vor Schulen und Gaststätten geöffnet, einen Maskenpflicht gibt es nicht), sagte Tegnell:

„(…) Etwas wird oft übersehen: Manche Maßnahmen nützen vielleicht gegen das Virus, sind aber sehr schädlich für andere Bereiche der Gesundheit.“ (Der Freitag/ 12/ 25.03.2021/ S. 3)