Ich bin hin- und hergerissen zwischen Zustimmung und Ablehnung des Koalitionsvertrages. Die Ankündigung kurz nach der deutlichen Wahlniederlage, in die Opposition zu gehen, sich in dieser Zeit programmatisch und auch personell neu aufzustellen, fand ich vollkommen richtig.

Nun kam alles anders: ewige Jamaika-Sondierungen. Ich konnte es nicht mehr hören: Jamaika hier, Jamaika da. Dann stiegen die Liberalen aus. Und die Sozis haben sich in Zugzwang bringen lassen. Plötzlich sollte ohne die SPD nix mehr gehen. Ob das wirklich so ist, sei dahin gestellt. Schon 2013 war ich der Ansicht, die CDU könne auch eine Minderheitsregierung starten – allerdings waren die Wahlergebnisse damals tatsächlich noch andere.

Über Inhalte kann man streiten. Wie viel sozialdemokratisches Herzblut steckt in den 177 Seiten? Konnte wirklich viel für die Menschen geschafft werden? In Teilen vielleicht schon. 25 Euro mehr Kindergeld je Kind und Monat kommt mir als Mutter von vier Kindern tatsächlich entgegen. Das hätte es aber ohne SPD mit Sicherheit auch gegeben. Die Digitalisierung steht schon seit 2013 im Vertrag, wurde zwar aufgewertet und mit noch mehr Geld unterfüttert, aber passiert ist bisher erstaunlich wenig.
Mehr Geld für Schulen direkt vom Bund. Na endlich, dachte ich zuerst. Blöd nur, dass die Digitalisierung der Schulen schon 2016 kommen sollte. Und das Geld, das für dringend notwendige Sanierungen der Gebäude, fließen soll, wird wohl kaum abgerufen werden können. Schon jetzt können Bauplanungen nicht begonnen werden, weil es keine Planer gibt. Und Handwerker sind auf Monate ausgebucht. Tatsächlich ist im Bereich Gleichstellung seitens der SPD viel erreicht worden. Was daran liegt, dass CDU/CSU dazu kaum was in ihrem Wahlprogramm stehen hatten

Dein Schulz ist doof“, sagt meine Ma. Dazu kommt die Personaldebatte. Zu einer Unzeit machte Martin Schulz, der noch vor zwölf Monaten als Heilsbringer galt, öffentlich, er wolle Außenminister werden. Die Qualifikation als langjähriger Europaabgeordneter und EU-Parlamentspräsident hat er zweifelsohne. Nur sagte er unmissverständlich, er werde unter Merkel nicht Minister! Nun doch?!? Und Sigmar Gabriel wird öffentlich geschasst. Und Bätschi-Andrea wir per Akklamation Parteivorsitzende! Ich war kurz davor, mein Parteibuch abzugeben.

Nicht das erste Mal musste ich mich erinnern, warum ich vor gut elf Jahren Sozialdemokratin geworden bin. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das sind die Grundlagen der SPD. Wobei ich Brüderlichkeit heute mit Solidarität übersetze.
Freiheit steht für mich für die Freiheit zu reisen, zu leben, wo ich möchte und wie ich möchte. Aber auch die Freiheit eigene Entscheidungen zu treffen, meinen eigenen Weg gehen zu können – beruflich wie privat. Niemand schreibt mir vor, was ich lernen oder studieren soll. Ob ich allein mit meinen Kindern lebe oder verheiratet bin, ist nichts mehr, was die Gesellschaft oder der Staat sanktioniert.

Gleichheit bedeutet gleiche Rechte für alle Menschen. Frauen und Männer müssen das gleiche Gehalt bekommen, wenn sie die gleiche Arbeit leisten! Es ist ein Unding, dass es Frauen immer noch x-Mal schwerer haben, in Führungsetagen aufzusteigen. Da helfen nur Daumenschrauben per Gesetz, sonst wird sich hier kaum etwas ändern. Das gilt in der freien Wirtschaft, im öffentlichen Dienst und auch in den Parteien. Wir Sozis haben sogenannte quotierte Listen: Auf eine Frau folgt ein Mann oder umgekehrt. Leider sind in allen Parteien nach wie vor mehr Männer als Frauen Mitglieder, was es erschwert ausreichend Frauen schließlich auch in die Volksvertretungen zu wählen. Der aktuelle Bundestag, aber auch der Kreistag des SHK und zahlreiche Stadt- und Gemeinderäte sind ein Beispiel dafür. Gleichheit heißt aber auch, dass wir vertrakte Rollenbilder aufweichen. Ich möchte, dass auch mein Sohn später mal als Papa ganz selbstverständlich Elternzeit nehmen kann, um seine Kinder zu betreuen.

Solidarität heißt für mich, die Starken stützen die Schwachen. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft scheint nur noch das Ellenbogen-Prinzip zu greifen. Das finde ich falsch. Wenn ich es kann, helfe ich anderen. Sei es, dass wir jedes Jahr an der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton teilnehmen“ oder ich meinen Kindern durch meine Ehrenämter vorleben, dass man sich für andere stark machen muss. Wer mehr verdient oder hat, der soll den Schwächeren helfen. In einem Staat geht das über die Steuern und Abgaben. Seit Jahren erleben wir, dass es mit der Solidarität in diesen Bereichen nicht so weit her ist. Spitzenverdiener müssen im Vergleich weniger zahlen als Geringverdiener. Abgaben sind gedeckelt. Eine Reichensteuer gibt es nicht. Kindergeld wird pauschal gezahlt, auch wenn die Eltern Millionäre sind. Den Hartz-IV-Beziehern hingegen wird das Kindergeld als Einkommen angerechnet. Das stinkt zum Himmel.
Das sind nur ein paar Ideen zu den Bereichen, in denen ich mich in der Sozialdemokratie wiederfand. Ich denke nach wie vor, dass die SPD diese Ziele vertritt. Nur muss sie das viel deutlicher machen. Klare Ziele formulieren, wie wir in Zukunft gemeinsam leben wollen. Für mich nach eben diesen Prinzipien: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Darum bin ich Sozialdemokratin und werde es bleiben.

GroKo? NoGroKo? Nun bin ich eine von mehr als 460.000 SPD-Mitgliedern, die über den Koalitionsvertrag abstimmen soll. Darin finden sich Punkte, die auf die genannten Prinzipien anwendbar sind. Ob das, was da drin steht, aber explizit sozialdemokratisch ist, könnte ich nicht sagen. Die CDU/ CSU verwendet die gleichen Schlagworte. Nur sind unsere in einer 150jährigen Geschichte begründet. In dieser Zeit hat sich die SPD immer wieder neu erfunden, war eine der ersten Parteien, die das Frauenwahlrecht unterstützten, sich gegen die Nazis stellten, bis sie in der DDR mit der KPD zur SED zwangsvereinigt wurde. Nach der Wende stand die SPD wieder auf und hat es im Osten seit dem nicht leicht. Aber hier, im Osten, liegen unsere geografischen Wurzeln. Zu unseren inhaltlichen Wurzeln müssen wir mit unserem Programm zurück finden. Das wird uns in einer erneuten Großen Koalition nicht gelingen. Ich glaube unsere Demokratie wird die gegenwärtigen Unwägbarkeiten überstehen. Ich werde gegen den Koalitionsvertrag stimmen.
Ich hoffe, wir Sozis finden wieder zu uns und bieten den Menschen eine Alternative zu immer weiter rechts orientierten Programmen anderer Parteien, denen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nur für ihre eigene Klientel gelten.